Das Arbeitszeitgesetz ist auch auf Erzieher und Erzieherinnen (Beschäftigte) in Wohngruppen mit alternierender Rund-um-die-Uhr-Betreuung anwendbar. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin (VG Berlin, 24.03.2015, 14 K 184/14) entschieden.

Zum Sachverhalt

Die Klägerin betreibt als anerkannte freie Trägerin der Kinder- und Jugendhilfe Wohngruppen mit alternierender Betreuung. Für jede Gruppe sind drei Beschäftigte zuständig, die alternierend etwa sechs Kinder und Jugendliche durchgehend in der Wohngruppe betreuen. Während ein Beschäftigter in der Regel drei bis fünf Tage in Folge in der Wohngruppe wohnt, ist der zweite im Tagesdienst tätig; der dritte hat frei. Ziel des Modells ist es, eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung in einer familienähnlichen Gruppe mit hoher Betreuungsintensität und gleichzeitiger Kontinuität der Beziehungen zu gewährleisten. Das zuständige Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin (LAGetSi) meint, dieses Modell verstoße gegen das Arbeitszeitgesetz (ArbZG), insbesondere gegen das darin geregelte Verbot, täglich mehr als zehn Stunden zu arbeiten. Es forderte die Klägerin daher per Bescheid  auf, die Dienstpläne ihrer Beschäftigten so zu gestalten, dass derartige Verstöße zukünftig unterbleiben. Die Klägerin griff diesen Bescheid an. Sie ist der Meinung, das ArbZG sei nicht auf Arbeitnehmer anwendbar, die in häuslicher Gemeinschaft mit den ihnen anvertrauten Personen zusammenleben und sie eigenverantwortlich erziehen, pflegen oder betreuen.

Die 14. Kammer des Verwaltungsgerichts wies die Klage der freien Trägerin der Wohngruppe ab. Das ArbZG sei anwendbar. Von einem Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft sei nur dann auszugehen, wenn ein Arbeitnehmer mit mindestens einer anderen Person in einem räumlich abgegrenzten Bereich für längere Zeit dergestalt zusammen wohne, dass dies einem Zusammenleben und gemeinsamen Wirtschaften in einem Familienverbund weitgehend gleichkomme. Das sei hier nicht der Fall. Beschäftigte wohnten während der Rund-um-die-Uhr-Betreuung nicht in der Wohngruppe, sondern arbeiteten dort ausschließlich. Die Wohngruppe biete keinen privaten Rückzugsbereich und sei gerade nicht der Ort, der den räumlichen Schwerpunkt der privaten Lebensverhältnisse darstelle. Es sei dabei rechtlich unerheblich, ob die betreuten Kinder und Jugendlichen in den Gruppen untereinander einen Haushalt bildeten. Das Bestehen einer häuslichen Gemeinschaft sei allein aus der objektivierten Sicht der vom ArbZG zu schützenden Arbeitnehmer zu beurteilen. Auch Zeiten mit geringerer Belastungsintensität – etwa beim Schulbesuch der Kinder – zählten als Bereitschaftsdienst im vollen Umfang zur Arbeitszeit.

Die Kammer hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Berufung und die Sprungrevision zugelassen

Quelle: Pressemitteilung Nr. 19/2015 des VG Berlin vom 05.06.2015

Fazit

Das dargestellte Urteil bietet Anlass dazu auf Folgeprobleme hinzuweisen, die in vergleichbaren Sachverhalten auftreten können. Wird gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen, ist dies mindestens als Ordnungswidrigkeit zu bewerten mit der Folge, dass Bußgelder verhängt werden können. Bei vorsätzlichen oder wiederholten Verstößen des Arbeitgeber, die zu einer Gesundheitsgefährdung des Arbeitnehmer führen, ist sogar ein Straftatbestand verwirklicht. Der mögliche Strafrahmen ist hier Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

Daneben ist oft festzustellen, dass bei Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz auch Lohn- und Gehalt nicht ordnungsgemäß gezahlt wurden. Hier drohen Arbeitgebern umfangreiche Lohnnachzahlungen ihrer Arbeitnehmer inklusive der Sozialversicherungsbeiträge und Steuern. Auch das Vorenthalten beziehungsweise Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern ist strafbar. Sollte im Ergebnis der Arbeitgeber dann auch noch nur Gehalt gezahlt haben, das unter dem in Deutschland geltenden Mindestlohn von 8,50 € pro Zeitstunde liegt, drohen weitere Strafen.

 

 

Urteil: Arbeitszeitgesetz gilt auch für Rund-um-die-Uhr-Betreuung in Wohngruppen