Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm (Urteil vom 14.03.2013, 16 Sa 763/12) stellt, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zum Inhalt des Urlaubsanspruchs, die Freistellung des Arbeitnehmers unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche nach einer außerordentlichen fristlosen Kündigung keine Erfüllung des Urlaubsanspruchs des Arbeitnehmers dar. (amtl. Leitsatz)Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Kläger war bei der Beklagten seit 1987 beschäftigt. Der nicht unterschriebene schriftliche Arbeitsvertrag enthielt die Bestimmung „Der Arbeitgeber ist berechtigt, den/die Angestellten jederzeit unter Fortzahlung des letzten monatlichen Gehaltes von der Arbeit freizustellen“.
2011 kündigte die Beklagte dem Kläger außerordentlich mit sofortiger Wirkung, hilfsweise fristgemäß zum 31.12.2011. Das Kündigungsschreiben enthielt folgende Freistellungerklärung: „Im Falle der Wirksamkeit der hilfsweise fristgemäßen Kündigung werden Sie mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung sämtlicher Urlaubs- und Überstundenansprüche unwiderruflich von der Erbringung ihrer Arbeitsleistung freigestellt.“
Gegen die Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Dortmund. Im Gütetermin schlossen die Parteien einen Vergleich nach dem das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2011 aus betrieblichen Gründen endete. Außerdem enthielt der Vergleich folgende Regelung
[…] 5. Die Beklagte rechnet das Arbeitsverhältnis bis zum 30.06.2011 ordnungsgemäß ab. Die Parteien sind sich insofern auch dahingehend einig, dass der Kläger bis zum Beendigungstermin von der Erbringung seiner Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt bleibt.
Mit der nun entschiedenen Klage machte der Kläger noch Urlaubsabgeltung und Urlaubsgeld geltend. Die Beklagte verweigerte die Zahlung, da sie die Ansicht vertrat, der Urlaub sei bereits aufgrund der Anrechnung durch die Freistellung von der Arbeitsleistung verbraucht, die streitigen Ansprüche würden demnach nicht bestehen.
Keine Erfüllung der Urlaubsansprüche durch Freistellung
Nach Ansicht des LAG stehen dem Kläger gegen die Beklagte die geltend gemachten Ansprüche auf Urlaubsabgeltung und Urlaubsgeld zu. Die Urlaubsansprüche des Klägers sind nicht durch die Freistellung aufgrund der Erklärung im Kündigungsschreiben erfüllt worden.
Keine wirksame Urlaubsgewährung
Das LAG Hamm nahm Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH zu Artikel 7 der Richtlinie 2003/88/EG nachdem der Urlaubsanspruch den Anspruch auf Freistellung zum Jahresurlaub und den Anspruch auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs beinhaltet.
Dies berücksichtigt, genügte die Freistellungserklärung des Arbeitgebers nach Ansicht des LAG nicht den Anforderungen an eine wirksame Urlaubsgewährung.
Die Rechtsprechung des BAG, nach der der Arbeitgeber für den Fall einer Kündigung berechtigt sei, den Urlaub des Arbeitnehmers allein durch Freistellung zu gewähren stehe nicht im Einklang mit europäischem Recht. Insbesondere § 11 II BUrlG sei europarechtskonform im Rahmen einer Einheitstheorie auszulegen.
Voraussetzungen zir Erfüllung des Urlaubsanspruchs durch Freistellung
Der Arbeitgeber muss daher, um den Arbeitnehmer wirksam von der Arbeitleistung unter Anrechnung bestehender Urlaubsanpsrüche freistellen zu können, nach Ansicht des LAG Hamm gegen über diesem einerseits erklären, dass er für einen bestimmten Zeitraum von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt ist. Andererseits muss der Arbeitgeber auch das Entgelt für den Urlaubszeitraum gem. § 11 II BUrlG vor Beginn des Urlaubs zahlen. Nur wenn der Arbeitgeber beiden Verpflichtungen nachgekommen ist soll für den Urlaubsanspruch Erfüllungswirkung eintreten.
Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Sachverhalt nicht erfüllt. Nach Auslegung des LAG war auch die im gerichtlichen Vergleich vereinbarte Freistellung nicht als Urlaubsgewährung auszulegen Dem Wortlaut des Vergleichs „[…], dass der Kläger bis zum Beendigungstermin von der Erbringung seiner Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt „bleibt“ […]“ sei bereits keine Urlaubsgewährung unter Anrechung auf den Erholungsurlaub zu entnehmen.
Fazit
Gegen das Urteil ist erwartungsgemäß Revision eingelegt worde. Diese ist unter dem Aktenzeichen 9 AZR 455/13 beim Bundesarbeitsgericht anhängig. Das BAG wird die sich nun aufdrängende Frage zu beantworten haben ob es seine Rechtsprechung mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH ändert und der sehr einschränkenden Auslegung zur Erfüllung von Urlaubsansprüchen folgt.
Arbeitgebern kann bis zu einer endgültigen Klärung in der Sache nur geraten werden, die Urlaubsgewährung sehr sorgfältig vorzunehmen und in der Freistellungserklärung in jedem Fall den Grund der Urlaubsgewährung und den konkreten Urlaubszeitraum anzugeben. Zudem muss wohl dazu geraten werden auch das Urlaubsentgelt rechtzeitig vor Urlaubsantritt zu zahlen.
Unabhängig davon besteht in der Praxis häufig das Problem, dass schon die arbeitsvertraglichen Voraussetzungen zur wirksamen Freistellung eines Arbeitnehmers unter Anrechung von Urlaubsansprüchen nicht ausreichend sind und eine Anrechnungserklärung ohne Wirkung bleibt.