Ist ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, so muss der Arbeitgeber ihm gem. § 3 EntgFG sechs Wochen lang sein Gehalt weiter auszahlen. Dieser Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht aber nur dann, wenn dem Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit nicht vorzuwerfen ist. Das BAG hatte nun darüber zu entscheiden, ob der Anspruch auf Entgeltfortzahlung auch für den Rückfall eines alkoholabhängigen Arbeitnehmers fortbesteht.
Zum Sachverhalt
Klägerin in dem, vom BAG entschiedenen Sachverhalt, war die gesetzliche Krankenversicherung des alkoholabhängigen Arbeitnehmers der Beklagten, Herrn L.
Ende 2011 wurde Herr L. mit einer Alkoholvergiftung (4,9 Promille) in ein Krankenhaus eingeliefert und war anschließend über zehn Monate arbeitsunfähig erkrankt. Bereits zuvor war er zwei Mal in stationärer Behandlung gewesen. Beide Versuche brachten angesichts zahlreicher Rückfälle keinen dauerhaften Heilungserfolg.
Während der ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit leistete die beklagte Arbeitgeberin jedoch nicht die übliche Entgeltfortzahlung an Herrn L. Die Arbeitgeberin war der Ansicht, Herr L. habe den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit selber verschuldet. Anstelle dessen, erhielt Herr L. von seiner Krankenversicherung auch in den ersten sechs Wochen Krankengeld. Diese Zahlungen forderte die Krankenversicherung anschließend von der beklagten Arbeitgeberin zurück.
Entscheidung des Gerichts
Die klagende Krankenversicherung war in allen Instanzen erfolgreich.
Sowohl die Vorinstanzen als auch das BAG vertraten die Ansicht, dass es sich bei einer Alkoholabhängigkeit um eine Krankheit handele. Tritt als Folge dieser Suchtkrankheit (zumindest zeitweise) Arbeitsunfähigkeit ein, kann dies dem arbeitsunfähig Erkrankten nach derzeitigem Stand der medizinischen Kenntnisse grundsätzlich nicht vorgeworfen werden.
Die Entstehung der Alkoholsucht ist vielmehr multikausal, wobei sich die unterschiedlichen Ursachen wechselseitig bedingen. Dies gilt im Grundsatz auch bei einem Rückfall nach einer durchgeführten Therapie. Im Hinblick auf eine Abstinenzrate von 40 bis 50 % je nach Studie und Art der Behandlung kann nach einer durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme jedoch ein Verschulden des Arbeitnehmers an einem Rückfall nicht generell ausgeschlossen werden. (Pressemitteilung des BAG zum Urteil vom 18. März 2015 – 10 AZR 99/14)
Um nachzuweisen, dass der Arbeitnehmer für den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit selbst verantwortlich war, bzw. den Rückfall (der zur Arbeitsunfähigkeit führte) schuldhaft herbeigeführt hatte, beantragte die beweislaste beklagte Arbeitgeberin die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Die beweisbelaste beklagte Arbeitgeberin hatte, um nachzuweisen, dass der Arbeitnehmer für den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit selbst verantwortlich war beziehungsweise den Rückfall, der zur Arbeitsunfähigkeit führte, schuldhaft herbeigeführt hatte, die Einholung eines Sachverständigengutachtenbeantragt. Diesem Antrag kam das Gericht nach. Der medizinische Gutachter schloss ein Verschulden des Arbeitnehmers unter Hinweis auf die langjährige und chronische Alkoholabhängigkeit und den daraus folgenden „Suchtdruck“ jedoch aus.
Da es der Beklagten nicht gelang nachzuweisen, dass dem Arbeitnehmer der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit vorzuwerfen war, sah das Gericht den von der Krankenversicherung geltend gemachten Erstattungsanspruch als gegeben an. Die Arbeitgeberin wäre verpflichtet gewesen gegenüber dem Arbeitnehmer Entgeltfortzahlung zu leisten.
Fazit
Der Arbeitgeber hat seinen Arbeitnehmern grundsätzlich Entgeltfortzahlung zu leisten, soweit diese ihre Arbeitsunfähigkeit nicht selbst verschulden. Kommt der Arbeitgeber seinen Pflichten nicht nach, kann der Arbeitnehmer bereits ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit gegenüber der Krankenkasse seinen Anspruch auf Krankengeld geltend machen. In dem Fall läuft der Arbeitgeber jedoch Gefahr, sich Regressansprüchen der Krankenkasse auszusetzen.
In den Fällen, in denen eine Suchterkrankung Ursache für den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ist, bleibt spannend, ob und ab welchem Punkt man tatsächlich von einer Verantwortlichkeit des Arbeitnehmers sprechen kann. In einem Urteil vom 30.03.1988 (5 AZR 42/87) hatte das Bundesarbeitsgericht die Auffassung geäußert, dass ein seit längerer Zeit an Alkoholabhängigkeit erkrankter Arbeitnehmer schuldhaft im Sinne des § 3 EntgFG handeln kann, wenn er in noch steuerungsfähigem Zustand sein Kraftfahrzeug zur Fahrt zur Arbeitsstelle benutzt, dort übermäßig trinkt und dadurch bedingt auf dem Rückweg einen Verkehrsunfall herbeiführt, bei dem er arbeitsunfähig verletzt wird.
Es erscheint jedoch fraglich, ob das Bundesarbeitsgericht diese Auffassung auch heute noch vertreten würde. Damals hatte es die Verantwortlichkeit des Arbeitnehmers damit begründet, dass es zu dem Verkehrsunfall nicht gekommen wäre, wenn der Arbeitnehmer seine krankhafte Neigung zum Alkohol hätte kontrollieren können und diesen nicht ungehemmt während des Dienstes konsumiert hätte. Aufgrund seiner Abhängigkeit sei er jedoch nicht mehr in der Lage gewesen, sich zu beherrschen.
Gerade das Herbeiführen dieser Lage warf das BAG dem Arbeitnehmer nun vor. Nach Ansicht des Gerichtes kannte der Arbeitnehmer seine Krankheit und wusste, dass er mit dem Trinken nicht würde aufhören können, sobald er damit einmal angefangen hatte. Er kannte auch die Gefahren des Alkohols für den Autofahrer. Dementsprechend hätte er am Morgen, als er sein Verhalten noch steuern konnte, in weiser Voraussicht das Auto zu Hause stehen lassen müssen. Da er das Fahrzeug trotzdem für die Fahrt zur Arbeitsstelle benutzte, setzte er sich wissentlich unbeherrschbaren Gefahren und damit einem besonders hohen Verletzungsrisiko aus.
Die Argumentation, dass die Entscheidung, trotz aller Gefahr Alkohol zu konsumieren, auf Grund der Suchterkrankung nicht mehr steuerbar war, dürfte nach neusten medizinischen Kenntnissen nicht weit von der Wahrheit entfernt sein. Die damals vom BAG geäußerte Ansicht dürfte entsprechend heute nicht weiter aufrecht gehalten werden können.